70 Jahre danach: Würzburg und Georg Benz im Bayernstreik

Vor 70 Jahren, im Jahr 1954, fanden in den bayerischen Metallbetrieben vom 9. bis zum 31. August Streiks statt, die als Bayernstreik in die Geschichte eingingen. Der damalige Arbeitskampf hatte tiefgreifende Auswirkungen auf die Tarifpolitik und zukünftige Lohnauseinandersetzungen im Land. Aus Würzburger Perspektive ist der Streik auch in Verbindung mit dem Gewerkschaftsmann Georg Benz von Interesse, der damals 33 Jahre alt war und erstmals als zentraler Akteur bei den Bemühungen der Kolleginnen und Kollegen um bessere Löhne hervortrat.

Georg Benz, Sohn eines Schneidermeisters, wurde 1921 in Würzburg geboren. Nach dem frühen Tod seines Vaters wuchs er mit sechs Geschwistern bei der Mutter auf. Nach dem Besuch der Volksschule absolvierte er eine vierjährige Lehre als Modellschreiner bei Koenig & Bauer. Seine berufliche Laufbahn wurde durch den Zweiten Weltkrieg unterbrochen, infolge schwerer Verwundungen war er bis 1949 arbeitsunfähig. Nach seiner Rückkehr zu Koenig & Bauer im Jahr 1949 trat Benz der IG Metall bei. In kurzer Zeit avancierte er innerhalb der Gewerkschaftshierarchie: 1950 wurde er Betriebsrat, Jugendleiter der IG Metall und Mitglied der Ortsverwaltung. 1953, im Alter von 32 Jahren, wurde er zum Ersten Bevollmächtigten der IG Metall in Würzburg gewählt. 1956 wechselte er als Sekretär in die Bezirksleitung München. 1964 wählten ihn die Delegierten zunächst des Beirates, dann der darauffolgenden Gewerkschaftstage der IG Metall, zum geschäftsführenden Vorstandsmitglied. 1983 schied Benz aus der hauptamtlichen Gewerkschaftsarbeit aus.

Der Bayernstreik vor 70 Jahren war der erste große Flächenstreik in der bayerischen Metallindustrie nach dem Krieg. Die Auseinandersetzung entwickelte sich rasch zu einem symbolträchtigen Konflikt zwischen Arbeiterschaft und Unternehmern. In Würzburg war der junge Georg Benz als Erster Bevollmächtigter der IG Metall der verantwortliche Streikleiter. Der Streik betraf unter anderem die Betriebe Koenig & Bauer in Würzburg und Kindermann in Ochsenfurt.

Der Konflikt bei der Firma Kindermann in Ochsenfurt dauerte insgesamt 14 Tage, vom 11. bis zum 23. August 1954. Er endete, als Landespolizisten eine Passage durch die Streikposten erzwangen und die blockierten Werkstore freimachten. Zu dieser Zeit beschäftigte die Firma 250 Mitarbeiter. Die Gegenseite bezichtigte Georg Benz später, dass „betriebsfremde Arbeiter, die mit Bussen aus Kitzingen herangeschafft worden waren“, den Streik beeinflussten. Heutzutage ist es üblich, dass Kolleginnen und Kollegen anderer Werke bei Streiks unterstützen und Solidarität üben. Das war damals genauso.

Georg Benz im Jahr 1964. Bildnachweis: Karin Benz-Overhage.

Auch bei Koenig & Bauer in Würzburg herrschte eine konfliktgeladene Situation, und Georg Benz spielte eine bedeutende Rolle. Die Metallzeitung, das Organ der IG Metall, berichtete 1954 von einer „breiten Unterstützung der Streikenden. Selbst in der konservativen Bischofsstadt“. Ein Zitat aus der von der IG Metall herausgegebenen Wochenzeitung „Metallzeitung“ vom 18. August 1954 verdeutlicht dies: „Selbst in der doch so konservativen Bischofs- und Beamtenstadt Würzburg sehen auch weite Kreise der nicht in der Metallindustrie beschäftigten Bevölkerung die Notwendigkeit des Streiks der Metallarbeiter ein. So meinte in der Würzburger Sanderau eine Gärtnerfrau: ‚Ich kann den Arbeitern nicht übelnehmen, wenn sie streiken.‘“

Nach dem Ende des Streiks reagierte die Vereinigung der bayerischen Metallindustrie mit ihren Unternehmen hart. Insgesamt wurden 847 aktive Streikteilnehmer, darunter 60 Betriebsräte und mehrere hundert Vertrauensleute, fristlos entlassen. Viele Streikende verloren damals die weit verbreiteten Werkswohnungen.

Aus Sicht der IG Metall war der Bayernstreik 1954 nicht ohne Fehler. Die Strategie, betriebliche Tarifabschlüsse zu vereinbaren, bevor eine Gesamteinigung auf Flächenebene erreicht wurde, minderte die Durchschlagskraft des Streiks. Die unversöhnliche Haltung der Gegenseite, die alles daransetzte, die Streikfront zu brechen, ebenso. Die Ereignisse im Bayernstreik 1954 führten zu wichtigen Lehren.

Heute wird kein Arbeitskampf ohne eine sogenannte Maßregelungsklausel beendet, die sicherstellt, dass keine der am Streik beteiligten Personen benachteiligt wird. Beim erfolgreichen Metallerstreik 1995, dem zweiten großen Flächenstreik der IG Metall in Bayern, wurde erstmals ein ausgefeiltes „Arbeitskampfinformationssystem“ eingesetzt, das Auskunft über die Produktionsverflechtungen in der Metall- und Elektroindustrie gab. Es waren die Lehren aus 1954, die 1995 zum großen Erfolg der IG Metall führten. Zwei aufeinanderfolgende Lohnerhöhungen von 3,4 und 3,6 Prozent sowie einer Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei vollem Lohnausgleich.

Seitdem hat es in Bayern keinen weiteren flächendeckenden Erzwingungsstreik in der Metall- und Elektroindustrie mehr gegeben. Seit 2002 hat die IG Metall ihre Streiktaktik geändert und 2018 mit ein- bis dreitägigen Streiks in verschiedenen Metall- und Elektrobranchen sowie mehreren Bezirken gleichzeitig ihre Stärke gezeigt, um auf die Verschärfung des Streikrechts und die zunehmenden Lieferverflechtungen in der Industrie zu reagieren.

Georg Benz, prägten die Erfahrungen des Jahres 1954 in Würzburg. Als Friedensaktivist, als Gewerkschafter und Antifaschist blieb er ein sein Leben konsequent. So trat er am 10. Oktober 1981 auf der großen Friedensdemonstration gegen den NATO-Doppelbeschluss im Bonner Hofgarten als Redner auf. Vom damaligen Vorsitzenden der IG Metall, Eugen Loderer, musste er sich deswegen harte Kritik gefallen lassen. Am 19. Dezember starb „Schorsch“ Benz 2006 in Garmisch-Partenkirchen.

Oben im Bild: Georg Benz im Jahr 2001 in Würzburg bei einer Würdigung durch die IG Metall Verwaltungsstelle Würzburg anlässlich seines 80. Geburtstages.

Bildnachweis Georg Benz: Karin Benz-Overhage