IG Metall Frauen
Internationaler Frauentag – alte Strukturen in neuem Gewand?
AM 8. März 1911 kam es zu einer Massenkundgebung für das Frauenwahlrecht. Das war der erste Internationalen Frauentag in Deutschland, getragen hauptsächlich von den Gewerkschaften und der SPD. „Zahlreiche Polizeimannschaften“ mussten Berlin „revolvergerüstet“ vor einem „Umsturz der Frauen“ beschützen, berichtete die sozialistische Frauenzeitschrift „Gleichheit“. Erst drei Jahre vorher, 1908, war in Preußen das Verbot für Frauen gefallen, sich politisch zu betätigen. Ein paar Organisation, darunter der Deutsche Metallarbeiter-Verband, die Vorgänger-Organisation der IG Metall, missachteten das Verbot.
10 Jahre später, im Jahr 1918 hatten es die Frauen geschafft: Sie durften in Deutschland wählen und gewählt werden. Am 9. November 1918 wurde auf den Trümmern und Massengräbern des Ersten Weltkriegs die Republik ausgerufen. Und am 19. Januar 1919 konnten Frauen zum ersten Mal zur Wahl gehen. Es folgten „Glanz und Elend“ der Weimarer Republik. Viele Frauen aus der Unterschicht, Alleinerziehende oder Angehörige von an Leib und Seele versehrten Soldaten litten unter den Folgen des furchtbaren Krieges. Arbeitslosigkeit, Armut und Krankheit waren weit verbreitet.
Aber die 20er Jahren stehen auch für Aufbruch! Auch für einen Aufbruch für Frauen. In der Kunst, in der Wissenschaft, in der Arbeitswelt, in der Politik und auch im Verständnis der Beziehungen zwischen den Geschlechtern. Frauen trugen auf einmal kurze Haare und lange Hosen und sorgten für Verwirrung. Auch der lange Kampf gegen den „Abtreibungsparagraphen“ hat einen ersten Höhepunkt in dieser Zeit. 15 Jahre später, mit der Machtergreifung der Nazis war alles wieder futsch. Es folgten 12 finstere Jahre. Deutsche, „arische“ Frauen sollten wieder nur Mütter sein. Für Jüdinnen, Polinnen, Russinnen, Sinti und Roma-Frauen und kranke Frauen bedeutete die nationalsozialistische Herrschaft Verfolgung, Zwangsarbeit und Tod.
Die Geschichte lehrt uns, dass auch sicher geglaubte Errungenschaften wieder verloren gehen können. Dass heißt: Wir müssen immer wachsam bleiben und uns engagieren! Dafür, dass die Rechten die Uhr nie wieder zurückdrehen! Dafür, dass in Krisen wie Corona wie selbstverständlich die (unbezahlte) Sorgearbeit überwiegend von Frauen geleistet wird! Dafür, dass durch die Transformation und das Vordringen von KI die Algorithmen auch gleichstellungspolitische Aspekte berücksichtigen!“
Sie sähen eine Gesellschaft, die sich durch das Engagement und die politische Einflussnahme von Frauen grundlegend verändert hat.
Sie sähen aber auch eine Gesellschaft, die sich immer noch sehr schwer damit tut, Frauen tatsächlich die gleichen Chancen und Möglichkeiten einzuräumen wie Männern. Gerade in der Arbeitswelt. Deshalb spricht sich die IG Metall zum Beispiel für Frauenquoten auf allen Ebenen aus. Denn ohne Schwimmflügel schaffen es die Unternehmen einfach nicht.
Sie sähen ein Gesellschaft, die noch immer überwiegend schweigend sexistische Sprüche und übergriffe toleriert. „Wir nehmen Sexismus hin wie das Wetter. Wozu sich über Regen aufregen?“[1], schreibt Emilia Smechowski in der Süddeutschen Zeitung.
Wie eine heftige Überschwemmung haben die Enthüllungen aus Hollywood den alltäglichen Schlamm aus Sexismus und sexuellen Übergriffen aus der Kanalisation an die Oberfläche gespült. Vielen Männern und Frauen wird jetzt erst – oder mal wieder – deutlich, wie weit verbreitet sexistische Sprüche und Übergriffe im Arbeitsalltag sind. Der aufdringliche Blick in den Ausschnitt, der abfällige Spruch im Büro, das total unangebrachte Kompliment für einen schönen Busen oder einen runden Po. Die #MeToo-Debatte hat deutlich gemacht, dass Frauen nicht nur ein bisschen schlechtem Wetter ausgesetzt sind, sondern dass wir hier über ein dauerhaftes Tiefdruckgebiet reden, das das Leben von Frauen – und vermutlich auch von vielen Männern – stark beeinträchtigt. Und viel zu häufig erfahren sie, wenn sie sich dagegen wehren, eben keine Unterstützung, sondern landen selbst im Abseits.
Einige Unternehmen haben in Betriebsvereinbarungen geregelt, wie bei sexueller Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen ist. Bei der Sartorius AG beispielsweise müssen spätestens eine Woche nach Eingang einer Beschwerde konkrete Maßnahmen eingeleitet werden.
Die Betriebsvereinbarungen definieren auch, was als sexuelle Belästigung gilt. Dass das wichtig ist, hat die #MeToo-Debatte deutlich gezeigt. Bei Volkswagen beispielsweise fallen darunter Berührungen aber auch das Zeigen von pornographischen Darstellungen. Das hilft.
Aber auch jede und jeder Einzelne ist bei dem Thema gefordert.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir Zeuginnen und Zeugen von sexistischen Sprüchen und Übergriffen werden, dürfen wir nicht wegschauen, sondern müssen uns mit den Kolleginnen solidarisieren und ihnen beistehen. Sexuelle Belästigung darf bei uns keinen Platz haben.
Sie sähen eine Gesellschaft, in der die Gleichstellungspolitik sehr schleppend vorangeht. Wir schlagen uns immer noch mit dem Thema Ehegattensplitting herum. Es ist völlig klar: Das Ehegattensplitting fördert eine Arbeitsteilung, die für Frauen ziemlich nach hinten losgehen kann: Der Mann als Hauptverdiener und die Frau verdient allenfalls ein wenig dazu. Die Folge für viele Frauen: Verlust der Qualifikation, schlechte Aufstiegschancen und in vielen Fällen Altersarmut. Viele unserer Mitglieder profitieren finanziell vom Ehegattensplitting. Und es ist verständlich, dass sie kein Geld verlieren wollen. Und darum kann es uns ja auch nicht gehen. Die IG Metall und der DGB werden deshalb ein Steuerkonzept entwickeln, das konkrete Forderungen für mehr Steuergerechtigkeit an die Politik stellen wird. Unser Ziel ist es Familien steuerlich zu entlasten. Wir wollen, dass auch unverheiratete Eltern und Alleinerziehende stärker entlastet werden.
Für uns ist klar: Dazu gehören aber auch Übergangsregelungen für bestehende Ehen.
Auch das Thema Teilzeitfalle steht seit Jahrzehnten auf unserer Agenda: 30 % aller Teilzeitbeschäftigten im Organisationsbereich der IG Metall würden gerne länger arbeiten.
Die Politik hat es ja bis heute nicht geschafft die Teilzeitfalle effektiv zu bekämpfen.
Dass es auch anders geht, hat die IG Metall in der jüngsten Tarifrunde für die Metall- und Elektroindustrie gezeigt. Wir haben die Teilzeit aus der Steinzeit herausgeholt. Wir haben es geschafft, ein Recht auf die kurze Vollzeit durchzusetzen. Die Beschäftigten haben jetzt einen individuellen Anspruch, ihre Arbeitszeit bis zu 24 Monate lang auf bis zu 28 Stunden abzusenken. Danach können sie wieder zur ihrer ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren. Das ist ein historischer Erfolg, auf den wir alle unglaublich stolz sein können. Das ist eine Forderung, die ihren Ursprung in der gewerkschaftlichen Frauenbewegung hat! Und obwohl schon die kurze Vollzeit für sich ein wirklich zukunftsweisender Erfolg ist, haben wir noch mehr durchgesetzt: Wer in Schicht arbeitet, sich um Kinder kümmert oder Angehörige pflegt, kann zusätzliche freie Tage erhalten, von denen der Arbeitgeber einen Teil finanziert.
Die Berliner Zeitung betitelte deshalb unseren Abschluss: „Ein Tarifvertrag für das 21. Jahrhundert“.
Für die IG Metall endet Solidarität nicht nur am Werkstor. Unsere Solidarität gilt auch vielen Menschen, die weltweit auf der Flucht sind. Einige von uns mussten am eigenen Leib erfahren, was das bedeutet. Die erste Frau im geschäftsführenden Vorstand der IG Metall – Margarete Traeder – musste in die Tschechoslowakei fliehen, als die Nationalsozialisten an die Macht kamen. Nach dem Krieg arbeitete sie in der Abteilung Frauen beim Vorstand der IG Metall und wurde 1958 als erste Frau in den geschäftsführenden Vorstand der IG Metall gewählt.
Über die Hälfte der Flüchtenden sind Frauen. Sie fliehen vor Krieg und Hunger und häufig auch wegen frauenspezifischer Gründe wie sexueller Gewalt oder Genitalverstümmelung. Viele Frauen sind mit Kindern auf der Flucht und damit in einer besonders schwierigen Situation. Deshalb ist das Thema Familiennachzug gerade für Frauen oft eine überlebenswichtige Frage. Und deshalb ist es wirklich beschämend, den Familiennachzug für Flüchtende einzuschränken, wie es die Koalitionäre zur Zeit planen. Denn da sind wir uns doch alle einig, liebe Kolleginnen und Kollegen: Familien gehören zusammen!
Über 400.000 Frauen sind Mitglied in der IG Metall. In den letzten Jahren haben wir vor allem bei jungen Frauen in den Betrieben zugelegt. Lasst uns noch mehr Frauen für die IG Metall begeistern.
Wer sich für Gleichstellung einsetzen will, ist bei der IG Metall genau richtig. Lasst uns gemeinsam dafür kämpfen, dass nicht weitere 100 Jahre vergehen müssen, bis der Grundsatz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ aus unserem Grundgesetz umgesetzt ist.
Eure Kollegin Sabine Witte
[1] Emilia Smechowski: Nicht mehr mit mir. In: Süddeutsche Zeitung Magazin 25. Januar 2018
(Bildnachweis: IG Metall, Akademie Frankenwarte, DGB Unterfranken)